Brücken bauen von Mensch zu Mensch

Es beginnt alles mit dem „Ich“. Und die allermeisten Menschen bleiben in dieser „Ich-Welt“ auch erhalten. „Ich will die Welt verbessern“, sagt die Kandidatin für den Bundestag, als sie von der Journalistin nach ihrer Motivation für die Kandidatur gefragt wird.

Dahinter steckt die Hybris, dass der eigene Lebensentwurf dem der Mitmenschen überlegen sei und es der Welt besserginge, wenn alle Menschen so wären wie unsere Kandidatin. Laut einer aktuellen Umfrage nehmen 70 % der Menschen für sich in Anspruch, dass sie besser sind als ihre Mitmenschen. 

Sie fühlen sich überlegen und die Gründe für das Überlegenheitsgefühl sind vielfältig. Der prinzipientreue Perfektionist fühlt sich seinen Mitmenschen überlegen, weil er ordentlicher, vernünftiger, einsichtiger, idealistischer oder perfekter ist als diese und weil er weiß, wie man die Welt verbessern kann. Der liebesorientierte Helfer fühlt sich den anderen Menschen überlegen, da er hilfsbereiter, emotionaler, mitfühlender, liebevoller, selbstloser, einfühlsamer, warmherziger ist als sie. Das ist ja auch in hohem Maße sozial anerkannt und gewünscht. Der imageorientierte Selbstdarsteller ist reicher, berühmter, leistungsfähiger, schöner, bewunderungswürdiger, begehrenswerter oder muskulöser als seine Mitmenschen. Das nährt sein Überlegenheitsgefühl.

Der identitätssuchende Individualist erhebt sich aus der Masse, weil er anders ist. Er ist stilvoller und stilsicherer, schöpferischer, inspirierter, phantasievoller oder schafft großartige künstlerische Werke. Er ist eben etwas Besonderes. Der erkenntnisorientierte Denker fühlt sich seinen Mitmenschen überlegen, weil er intelligenter oder wahrnehmungsfähiger ist und so viel mehr weiß als alle anderen. Der sicherheitsorientierte Traditionalist hat so feine Antennen, dass er kommende Bedrohungen und Sicherheitsrisiken viel besser vorhersehen kann als seine Mitmenschen. Gerade in Krisensituationen läuft er dabei zur Höchstform auf. Dabei ist er zuverlässiger, loyaler und sicherheitsbewusster.

Der lebenslustige Lebenskünstler ist glücklicher, leidenschaftlicher, talentierter, lebensfroher und enthusiastischer und sein Leben ist abwechslungsreicher als das Leben seiner Mitmenschen. Der durchsetzungsstarke Machtmensch ist stärker, mächtiger, durchsetzungsstärker und unternehmungslustiger als seine Mitmenschen und fühlt sich ihnen dadurch überlegen. Das Leben des harmonieorientierten Friedenstifters verläuft harmonischer und stressfreier als das der meisten anderen Menschen. Er ist friedliebender, unbekümmerter, zufriedener und ausgeglichener als sie.

Wir sprechen hier nicht über Gruppen, Staaten oder die Welt, sondern über Personen in einem zwischenmenschlichen Drama wie einer Stress- oder Konfliktsituation. „Ich“ will meine Interessen durchsetzen, da mein Lebensentwurf dem meines Kontrahenten überlegen ist. Nur leider: Mit hoher Wahrscheinlichkeit denkt mein Kontrahent genauso. Diese zwischenmenschlichen Dramen kommen in unserem privaten wie beruflichen Alltag immer wieder und jeden Tag vor.

Brücken bauen ist hierfür eine gute Strategie. „Ich“ suspendiere mein Überlegenheitsgefühl und beschäftige mich mit dem „Du“, speziell mit dessen Interessen. Dies ist das Fundament für die Brücke zwischen „Meinen Interessen“ und „Deinen Interessen“. Dann kann die Brücke zwischen den beiden beteiligten Personen und ihren Interessen gebaut werden. Wie das genau geht, ist im Buch ‚Egozentriker gekonnt abholen’ von Michael Kirchhoff und mir gewürzt mit vielen Fallbeispielen aus dem privaten und beruflichen Umfeld ausführlich beschrieben.

Die Brücke heißt „Wir“. Es werden die gemeinsamen Interessen von „Ich“ und „Du“ gesucht und gefunden. Dann wird gemeinsam an der Lösung der zwischenmenschlichen Drama-Situation und deren Umsetzung gearbeitet. Wieder ist die Welt ein Stück besser geworden. Brücken bauen von Mensch zu Mensch.

Autor: Dr. Wolfgang Hinz, PbI-Institut.


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